Ein Plädoyer für die Onkelz - Statement von Stephan vom 9. Oktober 2011 |

Hallo Freunde
Ich habe mich lange nicht mehr zum Thema „Onkelz“
geäußert. Was sollte man auch schreiben, wenn keiner die
Wahrheit hören wollte? Wenn wir aus gutem Grund einen Teil davon
nicht preisgeben wollten und sogar ich selbst ein Stück weit vor
der Vergangenheit geflohen bin?
Seit einiger Zeit aber drängen sich die Onkelz wieder zurück
in mein Gefühlsregister. Diese Gedanken muss ich einfach mit euch
teilen. Warum das und warum jetzt? Weil ich spüre, dass ich jetzt
in der Lage dazu bin. Ich kann jetzt ohne Ressentiments, ohne
„wenn und aber“ auf das Geschehene zurückblicken.
Darüber hinaus kann ich wieder fühlen, wie besonders die
Onkelz waren und für mich immer noch sind. Ja, ich kann sogar
wieder Onkelz-Songs hören! Ich stelle fest, dass die Tränen
getrocknet und die Wunden geleckt sind. Zumindest was mich betrifft.
Ich hatte ausreichend Zeit, meinen Frieden mit allen und mit allem zu
machen und murmle mantramäßig vor mich her, dass man alles
überleben kann, nur nicht den Tod. Ich weiß das, weil ich
nicht mehr unweigerlich den Kopf einziehe und in Deckung gehe, wenn das
Thema Onkelz aufkommt. Ich lernte demütig meine Lektion in
„Verzeihen“. Dazu setzte ich mich immer und immer wieder
auf die Stühle der anderen. Auch auf Deinen!
Was in den letzten Jahren passiert ist, war schwer zu verarbeiten. Das
gebe ich zu. Aber es ist möglich, das weiß ich, diene ich
mir selbst doch gerade als Beispiel. Und das ist auch der eigentliche
Grund für diese Zeilen.
Traurig beobachte ich nun seit geraumer Zeit, wohin eure und unsere
Reise geht. Eine Armee einst unglaublich treuer Fans spaltet sich in
Kevin-, Gonzo- oder Stephan-Lager, in Jung- und in Altfans, in
Onkelz-Gegner und die Ewig-Treuen. Ich kann es euch nicht einmal
verübeln, denn schließlich trugen wir, die Onkelz, einen
entscheidenden Teil dazu bei. Wir waren zugegebenermaßen nicht
gerade leuchtende Vorbilder. Die Querelen zwischen Gonzo und mir,
Kevins Unfall und möglicherweise mangelnde Informationen eigneten
sich bestens dazu, wild zu spekulieren und der eigenen Fantasie freien
Lauf zu lassen. Und wir haben zugeschaut, waren zu beschäftigt mit
der eigenen Verarbeitung und wohl auch zu paralysiert, um in dieser
Zeit, die richtigen Worte zu finden. Diese Kritik müssen wir uns
also gefallen lassen. Nur die Dimension, die eure Kritik angenommen
hat, die Dynamik, die sie enthält, der gilt es nun Einhalt zu
gebieten. Steht sie meiner Ansicht nach in keinem Verhältnis zu
dem, was man uns als Band vorwerfen kann.
So sehr ich euren Schmerz, eure Wut und die aufkommenden Zweifel
nachvollziehen kann: Ich bin nicht länger bereit mitanzusehen, wie
wir uns weiter entzweien!
Bedenkt: Klammern wir Kevins Unfall einmal aus und setzen „25
Jahre Onkelz“ in Relation zu den Querelen, die am Ende
stattfanden – dann sind die Streitigkeiten, die übrigens
erst nach der letzten Tour und kurz vor dem Lausitzring stattfanden,
und zudem ohnehin nur Gonzo und mich betrafen, allenfalls eine
Randnotiz.
Warum also die ganze Wallung? Selbst wenn unsere möglicherweise
aufgeblähten Egos das Ende der Onkelz nicht verkraften konnten,
oder wenn ein Teil der Band die Konsequenzen und die Leere nicht
kompensieren und ertragen konnte, und mancher sogar die Notwendigkeit
seiner eigenen Entscheidung plötzlich in Frage stellte, was
soll’s? Scheiß drauf! Wollen wir deswegen 25 unglaubliche
Jahre mit den Onkelz den Bach runter gehen lassen? 25 Jahre? Mann, das
ist sehr viel länger, als die meisten Ehen überdauern. Egal,
was gesagt oder nicht gesagt wurde, oder wie ungerecht man das alles
empfand. Mir ist es das nicht wert. Ich beschließe hier und
heute, mir das nicht länger anzutun.
Es mag vielleicht nicht passend sein, wenn es um die Onkelz geht, aber
erwähnen möchte ich es trotzdem: Wisst ihr eigentlich, wie
viele eurer Lieblingsbands sich untereinander nicht ausstehen
können? Und das sogar zu ihren Lebzeiten! Mir fallen da spontan
die von mir doch sehr geliebten „Ramones“ ein. Die haben 10
Jahre lang nicht mal mehr miteinander geredet. Oder nehmen wir die
„Sex Pistols“! Steve Jones hat Johnny Rotten und Sid
Vicious gehasst. Denkt an Mick Jagger und Keith Richards, an
„Metallica“ und, und, und…. Braucht man wie ein Loch
im Kopf, ist schon klar, aber es passiert nun mal. Auf alle Fälle
besser, es knallt am Ende und nicht schon während man gemeinsam
eine Bühne teilt, und dann heucheln und vortäuschen muss, da
stünde eine Gang, die zusammenhält. Das haben wir nie getan.
Die Onkelz haben uns immer geeint, waren immer eine Konstante und ein
unsichtbares Band in unserem Leben. Oder glaubt ihr, wir hätten
„Auf gute Freunde“ schreiben können, wenn es nicht so
gewesen wäre? Nicht wirklich, oder?
Aus heutiger Sicht ist all das, was passierte, für mich sogar
nachvollziehbar. Vielleicht nicht onkelz-like, aber menschlich. Bedenkt
man die Tragweite und die Schwere der Entscheidung, die wir damals zu
treffen hatten, so fällt es heute vielleicht leichter, es zu
verstehen. Das Loch, in das wir fielen, war ganz offensichtlich selbst
für uns zu tief und zu dunkel. Heute weiß ich, dass dort, wo
wir glauben stark zu sein, unsere verletzlichste Stelle liegt. Euch
muss es ähnlich ergangen sein. Ich habe eure Gesichter
während des letzten Akkords noch vor Augen. Das waren nicht die
Augen von Menschen, deren Lieblingsband ihr letztes Lied spielt. Nein,
das war mehr: Ich sah da Verzweiflung und Trauer und Leere. Als habe
man einen geliebten Menschen verloren. Eure Gesten, eure Gesänge,
die „Onkelz“-Chöre und „Mexiko“-Rufe, das
war immer schon Magie. Als würde das nicht reichen, kamen am
Lausitzring eure Tränen noch dazu. UND es kam hinzu, dass ihr euch
– was für eine große Geste der Ehrerbietung –
dass 100.000 Menschen vor uns niederknieten! Das muss man erst einmal
verdauen. Das hat und das wird auch keine Band jemals wieder erleben
dürfen. Was für ein ungeheuerlicher Ausdruck von Respekt und
was für eine Dankes-Geste der Verbundenheit war das denn? Das
zeigt uns doch mehr als deutlich, welch tiefe Beziehung wir zueinander
hatten und hoffentlich immer noch haben. Ich erinnere mich und es tut
wieder gut.
Fehlt dem Prozess der Verarbeitung die Kraft und die Größe,
so müssen Feindbilder her. Ob, wie in eurem Fall geschehen, ich
das war, oder ob sich eure Wut gegen die ganze Band richtete spielt
dabei eine untergeordnete Rolle. Über unseren Beitrag zur
Situation bin ich mir also einigermaßen im Klaren. Aber was ist
mit euch? Wie erklärt ihr euch euer momentanes Verhalten? Wie
erklärt ihr euch, dass ihr gerade im Begriff seid, euch immer
tiefer zu spalten, die Musik, die euch so lange heilig war und
über mehr als zwei Jahrzehnte begleitet hat, zu verlieren? Und
wollt ihr das überhaupt?
Ich kann mir viele eurer Reaktionen erklären und verurteile keine,
egal, als wie unfair ich sie teilweise empfand. Wenn ich selbst wanke,
im Begriff bin, meinen Glauben an etwas, vielleicht nicht zu verlieren,
aber zumindest nicht mehr fühlen kann, wie kann ich dann erwarten,
dass ihr es tut? Dieser teilweise negativen Energie, also meinem
eigenen ungewollten Beitrag zur momentanen Situation, habe ich endlich
wieder etwas entgegenzusetzten. Ich verspüre den Drang,
aufzuräumen und wieder anzugreifen!
Dass Kevins Unfall unseren Gegnern und Kritikern eine geladene Waffe in
die Hand gab, die sie dann nur noch abdrücken mussten und wir als
Band in Sippenhaft genommen wurden ist nur allzu verständlich.
Darauf hatten alle gewartet. Schließlich will niemand dein Blut,
sondern sie wollen deine Tränen sehen. Und die gab es. Die
Hände durften sich gerieben, und die Schadenfreude offen zur Schau
gestellt werden. Ja, Kevins Verhalten war schockierend und gab
berechtigten Anlass verständnislos den Kopf zu schütteln und
manchmal fühlte es sich an, als hätten ich oder die ganze
Band im Auto gesessen. Trotzdem erspare ich uns an dieser Stelle eine
Moralpredigt. Ich weiß, dass es Fehler gibt, für die man ein
Leben lang bezahlt. Mir hat es geholfen, zu verzeihen, auch wenn
Vergebung für mich nicht gleichzeitig bedeutet, alles vergessen zu
können, oder gar Kevins Tat zu rechtfertigen.
Elend steckt an und Hoffnungslosigkeit ist wie eine Seuche. Zeit
für einen Tapetenwechsel. Ich finde, es wurde genug geseufzt,
gejammert, bedauert und melancholiert. Wischen wir uns endlich die
Tränen aus dem Gesicht und biegen das Ding gerade. Wer, wenn nicht
wir? Wir alle dürfen uns gerne noch kurz schämen, aber das
war’s dann auch! OK?
Das Phänomen Onkelz wird einzigartig bleiben! Die Freude
darüber, dass es uns gab, wird überwiegen. Die
Streitigkeiten, Auseinandersetzungen und Ego-Reiberein am Ende werden
doch nicht 25 Jahre ehrlichster und glaubwürdigster Arbeit
zunichte machen, uns nicht nehmen können, wofür wir so lange
gekämpft und gestanden haben. Fucking Böhse Onkelz, Mann!
Der Name ist Legende und Hunderttausende da draußen tragen unsere
Fackel. Wir haben Geschichte geschrieben! Abseits des beschissenen
Mainstreams ging es aus der Gosse in die größten Hallen des
Landes. Wir ließen Herzen höher schlagen, und gaben
unangepasstem Straßenkrach einen Namen. Denen, deren sonstige
Helden, von den Medien domestiziert und vom Erfolg weichgespült,
ihre Ideale verrieten, gaben wir den Glauben an den
Rock’n’Roll zurück . Wir sind nicht nur eine Band
gewesen, sondern eine Institution, ein verdammter Weg zu leben.
Von der eigenen Euphorie jetzt mitgerissen behaupte ich weiter: Dass
wir den Weg ebneten für harten, kompromisslosen, ehrlichen
deutschen Rock. Wir haben inspiriert und geprägt. Ich will nicht
überheblich klingen, aber in unsere Fußstapfen treten heute
junge Bands, die mit ähnlichem Sound die Charts erobern. Wir haben
ein eigenes Genre, eine eigene Musikrichtung kreiert und etabliert.
Musik, mit der man früher keinen Fuß vor den anderen
bekommen hätte. Das darf die Brust ruhig ein wenig anschwellen
lassen.
Alles fischt heutzutage ungeniert in Onkelz-Fan-Gewässern. Die
Lücke, die wir hinterlassen haben, ist riesig. Das haben selbst
die großen Plattenfirmen gepeilt und statten demnach neuerdings
alles, was nach Onkelz klingt, mit Major Deals aus. Hunderte Bands in
diesem Land zollen uns Respekt. Metal-, Punk- und Rock-Bands. Rapper
und selbst DJ’s und Techno Produzenten bedienen sich unserer
Songs und Texte. Unser Sound wird kopiert, unser Logo ziert Autos,
Wände und eure Körper tausendfach. Es finden jedes Wochenende
dutzende Onkelz-Partys statt. Konzerte und Festivals mit Bands, die
unsere Songs covern sprengen die 20.000er Marken. Bei Spielen der
Nationalmannschaft singt ihr unsere Lieder und wir spielten das
größte Konzert einer deutschen Band auf deutschem Boden.
Daran dürfen wir uns gerne erinnern und zukünftig der
Hinterlassenschaft der Onkelz wieder gerecht werden. Einem
legendären Erbe, wie ich finde. Erinnern wir uns: An all die
Kämpfe, Diskussionen und Boykotte, an das Stigma Onkel oder
Onkelz-Fan gewesen zu sein. Erinnern wir uns daran, dass wir gemeinsam,
allen Vorurteilen und Widerständen zum Trotz, die Onkelz geliebt,
verteidigt und groß gemacht haben. Hey, hatte es etwas
ähnliches jemals zuvor gegeben? Nein! Und wird es auch nicht.
Nichts kommt dem Gefühl, das wir gemeinsam auf Konzerten erzeugen
konnten, auch nur annähernd nahe. Keine Band hatte jemals Fans,
wie ihr es wart, nie eine solch treue und verschworene Fangemeinschaft.
Keine Band hat es je geschafft, dass man sich derart mit ihr
identifiziert und verbündet. Wir haben uns gegenseitig so viel
gegeben, sind zusammen durch dick und dünn gegangen, haben uns
gegenseitig erzogen und gehalten, zusammen geweint und gefeiert. Wir
waren echt, aber wir waren nie unverwundbare Superhelden. Wir schlugen
ein neues Kapitel in der Geschichte der Musik auf. Gehasst und
gefürchtet, verbannt und stigmatisiert. Ein Phänomen!
Also, was wollt ihr eigentlich von uns?
Gonzo, Pe, Kevin und ich werden immer zu und für die Onkelz
stehen, auch wenn wir mittlerweile unterschiedliche musikalische Wege
gehen. Zu groß ist das, was wir mit den Onkelz erreicht haben. Zu
lang und intensiv war die Zeit, die wir miteinander verbracht haben.
Jeder von uns vieren kann sich bis zum heutigen Tag 100%ig mit den
Onkelz identifizieren und hat kein Problem damit, auf ewig ein Ex-Onkel
zu sein. Ich persönlich fühle mich beschenkt, dass ich Teil
des Ganzen sein durfte, und ich weiß, dass es den anderen genauso
geht.
Auch wenn noch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen sein kann, sage
ich: „Das wird schon wieder.“ Was auch immer dazu
geführt hat, dass wir aneinander geraten sind, wird irgendwann
abgehakt und nur noch als Randnotiz zur Kenntnis genommen werden.
Obwohl dies ein flammendes Plädoyer für die Onkelz ist, denke
ich nicht an eine Reunion. Eine Wiedervereinigung im Geiste darf es
aber schon sein. Holen wir uns zurück, was uns gehört. Lasst
uns zusammen feiern!
Unser Dank gilt euch.
Stephan
(Quelle: www.onkelz.de)

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